Anstoßen und aufkratzen … zum Nachdenken anregen … Auseinandersetzung fördern … Denkprozesse in Gang setzen … Meinungsbildung ermöglichen … und das alles rund um das Thema Freiheit und Demokratie ist die Aufgabe eines jeden Gemeinschaftskundelehrers. Im Erziehung- und Bildungsauftrag § 1 Sächsisches Schulgesetz manifestiert, wird dieser konkret formulierte Auftrag eine Aufgabe von Schule im Gesamten.
Tagtäglich stellen wir uns gern dieser Herausforderung. Um aber das Thema einmal mehr als blinkendes Werbeschild für demokratische Werte hochzuhalten und Aufmerksamkeit neu zu erzeugen, haben wir uns am 22. und 23.11.2018 den Leipziger Karikaturist SCHWARWEL ins Boot geholt.
Auszubildende des 2. und 3. Lehrjahres der Berufe Koch, Restaurantfachmann, Land- und Tierwirt waren eingeladen miteinander ins Gespräch kommen, sich über Befindlichkeiten und Sorgen Jugendlicher und auch über die guten Seiten ihres Lebens in einem freiheitlichen, demokratischen Staat auszutauschen.
SCHWARWELS „Aufgabe“ dabei war einerseits zu provozieren, um andererseits die zähe Zurückhaltung oder gar Demotivation der Azubis zu durchbrechen und es zu ermöglichen, dass Gedanken geäußert, Blickwinkel erweitert, Bekanntes überdacht und hinterfragt wurde. Mit Hilfe eines Fachmanns diese Gedanken künstlerisch auszudrücken mit unterschiedlichsten Gestaltungsmöglichkeiten war der Clou der Workshops.
Gute Idee, dachten wir Lehrer, wissend um die damit verbundenen Schwierigkeiten. Aber wir freuten uns sehr.
Zum Einstieg zeigte der Künstler seinen neuesten Trickfilm, der stark biographisch das Leben in der DDR beleuchtet. Krass, teilweise verstörend, in jedem Fall viele Fragen bei den jungen Menschen offen lassend. Empörte Aussagen wie: „Die DDR war nicht so schlecht wie im Film gezeigt!“ oder „Ich habe keine Ahnung, was das alles bedeuten soll.“, zeigten uns deutlich, dass die um 2000 geborene Generation recht wenig aufgeklärt ist über die jüngste Geschichte Deutschlands – die ihrer Eltern und Großeltern. Ein wenig mehr Input zum Film hätten sich viele Schüler an der Stelle vom Filmemacher und Regisseur SCHWARWEL gewünscht.
Danach kamen aber die eigenen Themen dran, die junge Leute von heute beschäftigen. Und was da bei einigen zutage gebracht wurde, überraschte uns: Gewaltfantasien, Mobbing, Gleichberechtigung, gefühlskalte Gesellschaft, mangelnde Wertschätzung der Berufe in der Agrarwirtschaft, Glyphosat, Drogenkriminalität, Respekt und Toleranz. Zu Letzterem z.B. hörten wir leidenschaftlich vorgetragen einen sehr berührenden Aufsatz über die sexuelle Orientierung von Menschen. 40 Schüler in der Aula und alle Kollegen ließ dieser Vortrag stille werden und erhielt unerwartet viel Beifall.
Zwei Schüler schrieben Aufsätze…freiwillig! Ganz viele entschieden sich fürs Graffitisprayen auf dem Schulhof, andere zeichneten Comics und Collagen, versuchten sich an Karikaturen. Ein Schüler entwarf eine kleine Persönlichkeitsstudie. Auch Mangahelden wurden gezeichnet. Die künstlerische Umsetzung seiner eigenen Gedanken war für viele ungewohnt, von manchen boykottiert, von den meisten aber wohlwollend bis erfreut angenommen.
Die großen Themen der aktuellen politischen Diskussion wurden leider umschifft, obwohl hier und da in den Unterhaltungen von „die da oben“ und „die anderen“ oder von denen, „die da zu uns kommen“ gesprochen wurde, sich aber keiner so richtig traute, öffentlich seine Gedanken laut zu vertreten. Die vielen anwesenden Lehrer, die zur Unterstützung behilflich waren, hatten alle Hände voll zu tun, um deutlich zu machen, was Meinungsfreiheit bedeutet und wie wichtig sie für Demokratie ist. Das Demokratie schwierig und langwierig kann, einfache Lösungen für komplexe Probleme selten sinnvoll sind und sich vielleicht auch nicht jeder zufriedenstellend behandelt fühlt, wurde zum Inhalt vieler Gespräche. Es wurde zugehört, gestritten, miteinander gesprochen, aufgeklärt, Kekse gegessen und Kritik geübt.
Wir hoffen, dass diese Gespräche in den Köpfen der Azubis nachhallen. In unseren tun sie es. Wir werden an diese Gespräche im Unterricht oder im Schulhaus anknüpfen und hoffen, das MITEINANDER weiter zu stärken.
Unseren Schülern danke ich, dass sie sich eingelassen haben. Ihr habt gespürt, Demokratie macht Mühe, aber es lohnt sich. Vielen Dank auch an meine zahlreich beteiligten und interessierten Kolleginnen und Kollegen für die viele Mühe, die Anregungen und die Freude, die Auseinandersetzung mit unseren jungen Frauen und Männern zu begleiten. Vielen Dank an die Schulleitung, uns für zwei Tage die Möglichkeit zu geben, einen Workshop zum Brennpunktthema mit ungewissem Ausgang veranstalten zu lassen. Und auch vielen Dank an SCHWARWEL und Sandra Strauß von „Glücklicher Montag“ für die Einblicke in ein Künstlerleben, die vielen gespitzten Pfeile, die zur Beteiligung anstachelten, die tollen Materialien, das Angebot sich einmal anders auszudrücken und zu entwickeln und natürlich für zwei „Echte SCHWARWELsche SCHWEINEVÖGEL“, die jetzt unser Schulhaus zieren. Dankeschön!
Jessika Tschentscher
Fachleiterin Allgemeinbildung
Sage es mir und ich vergesse, zeige es mir und ich erinnere,
lasse es mich tun und ich behalte. (Konfuzius)